10./11. Juni 1863
10. Juni 1863 Heute haben wir wieder einmal unseren unruhigen Tag und obschon ich am Mogen noch recht den lieben Gott um Seinen Segen bat, wollte es doch v. frühan schon nicht gehen. Babeli bei der man immer in der Küche stehen muß, machte uns schon v. früh an ärgerlich dann kam Alles z. Essen, die Kinden waren sehr laut u. unruhig, u. ich konnte gar nichts essen. Erst die Milch Abends stellte mich dann ein wenig her, und ich war froh, als es Abends bei Zeiten es Ruhe gab. Ach wann werde ich wieder einmal wohl sein, u. mich ins Leben fügen könen, wie die Andern! (…)
11. Juni 1863. Ich blieb ziemlich lang im Bett, u. ging dann hinter Nannys Sessel um ihn heute fertig zu machen, ganz unewartet kam aber Hr. Professor wieder mit fröhlichem Gesicht u. wie um mich aufzuheitern. Jch gestand ihm, daß ich nichts gegessen u. versprach, es heute besser zu machen. Er blieb aber doch gut, u. begreift, daß an solchen (Sturm-unleserlich)tagen meine physische Schwäche die moralische Kraft übersteigt. Er erzählte mir dann erst noch Alleerlei, v. u. Schlittenfahrt bei der er sich fast angezündet u. v. d. Duel zweier Studenten. Er blieb wieder lang u. Mama sagte, er komme nur um mich aufzuheitern. (…)
Der Verdacht, dass Dein Leiden eben auch ein psychisches ist, bei dem die Versuche, Dich aufzuheitern mehr bringen als Medikamente und andere Therapien, hege wohl nicht nur ich. Ich habe mich auch schon gefragt, ob Dir vielleicht auch einfach ein Ziel im Leben fehlt? Viele Optionen hast Du nicht zur Verfügung gehabt. Und die wenigen, die Deine Zeit Dir anbietet, hast Du selbst weiter eingeschränkt, indem Du Dich dafür entschieden hast, für Deine Eltern da zu sein. Nun bist Du 34 Jahre alt und es ist eher umgekehrt, dass sich Deine Eltern immer noch stark um Dich kümmern müssen. Eine Ausbildung, eine Berufstätigkeit, Reisen - solches mussten sich Frauen Deines Standes damals erkämpfen. In wohltätigen Organisationen bist Du zuweilen engagiert (Verweis folgt), aber das füllt Dich nicht aus. Es bleiben Handarbeiten, die Du pflegst, und das Führen eines gottesfürchtigen Lebens, das Dir sehr wichtig ist, Dir aber weder in der Form gelingt, wie Du es Dir wünschst, noch Dich erfüllt.